
Große Erfolge zeigen sich oft im Kleinen, wie jetzt die Nationalparkverwaltung Wilhelmshaven bei ihrem Jahresrückblick feststellte. Durch langjährige Artenschutzmaßnahmen haben sich seltene Pflanzenarten im Nationalpark wieder etabliert, die auch überregional als stark gefährdet oder sogar verschollen gelten.
Dazu zählen auf den Inseln der Igelschlauch (Baldellia ranunculoides) und der Strandling (Littorella uniflora), beide auch aus der Nähe unscheinbare Arten, die über Jahrzehnte nicht oder kaum im Nationalpark anzutreffen waren. Im Küstenvorland bei Cuxhaven hatte der Salz-Zahntrost (Odontites litoralis), eine küstentypische Art, das Schicksal, viele Jahre verschollen zu sein. Seit dem letzten Jahr ist er wieder zurück.
Solche botanischen Kostbarkeiten haben besondere Ansprüche an ihren Standort. Gefährdet sind sie vor allem durch mangelnde natürliche Dynamik aufgrund menschlicher Eingriffe, Veränderungen im Wasserhaushalt, überhöhte Nährstoffeinträge, Trittbelastung sowie durch Ausbreitung anspruchsloser Konkurrenzpflanzen. Beim Erhalt der biologischen Vielfalt im Nationalpark spielt die Rückführung gestörter bzw. beeinträchtigter Bereiche in Richtung der natürlichen Entwicklung eine zentrale Rolle. Strandling & Co. profitieren davon, wenn Standorte wieder vernässen dürfen und durch Entnahme von humosem Oberboden ausgemagert werden oder - wie beim Salz-Zahntrost - im richtigen Maß und zum richtigen Zeitpunkt gemäht oder beweidet und ansonsten nicht betreten werden. Daran orientieren sich die langfristig angelegten Schutz- und Pflegekonzepte der Nationalparkverwaltung.
Eine besondere Schatztruhe sind die feuchten Dünentäler auf Borkum, wo sich gleich mehrere pflanzliche Raritäten wieder ausbreiten. Auch Küstenheide und Kleingewässer auf Wangerooge zeigen beeindruckende Ergebnisse. „Naturschutzmanagement braucht einen langen Atem“, erklärt Nationalpark-Mitarbeiter Norbert Hecker, dessen Fachwissen, Engagement und Geduld die Erfolge zu verdanken sind. So hatte manch Insulaner oder Gast kein Verständnis für den Maschineneinsatz, der zum Auftakt jedoch unabdingbar war, um für Heide und Strandling den Rohboden zu bereiten. Nicht nur die Aufklärung über den Sinn dieser Maßnahme, unterstützt durch die regionalen Medien, schaffte Akzeptanz, auch das nachsprießende frische Heidekraut selbst überzeugte. Initiativmaßnahmen zur Entfernung vom Menschen eingebrachter, standortfremder Gehölze wie Kartoffelrose und Traubenkirsche oder Aufreinigung von Kleingewässern erfolgen in Handarbeit durch Gruppen von Freiwilligen.
Von speziellen Maßnahmen im Brutvogelschutz profitieren die Säbelschnäbler. Fast alle der etwa 1300 Paare in Niedersachsen brüten im oder am Wattenmeer. Zu den klassischen Kinderstuben des auffallend schwarz-weiß gezeichneten Watvogels gehören Salzwiesen mit Übergang zum Watt, die jedoch oft durch Küstenschutzbauwerke beeinträchtigt sind. Auch Binnendeichspütten können als Kinderstube dienen, jedoch muss den winzigen Küken, die sofort eigenständig auf Nahrungssuche gehen, der Weg zum Deich und ins Watt geebnet werden. Im Rahmen eines Projektes im Iheringsgroden bei Neuharlingersiel wurden in der dortigen Pütte die Inseln freigeschnitten und Ufer abgeflacht; ein Graben, bei dessen Überquerung die Küken ertrinken können, wurde auf einer Teilstrecke verrohrt; eine Infotafel sensibilisierte Wanderer und Radfahrer dafür, den Weg querende Küken wahrzunehmen und ihnen Vorfahrt zu gewähren. Der Aufwand lohnte sich: Über 111 Säbelschnäbler-Paare nahmen den Brutplatz an, etwa 30 flügge Jungvögel wurden gezählt. Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde durch Kameras nachgewiesen, dass der Grabenübergang von den Alttieren gezielt genutzt wurde, um die Jungen sicher hinüber zu geleiten. In den kommenden Jahren wird der Verbund von Brut- und Nahrungsgebiet weiter optimiert.
Neben baulichen Barrieren beeinträchtigen auch Freßfeinde (Prädatoren) den Bruterfolg. Von Natur aus sind die Ostfriesischen Inseln frei von gefräßigen Vierbeinern und deshalb auch für brutwillige Säbelschnäbler attraktiv. Mittlerweile sind aber eingeschleppte Ratten, Katzen, Frettchen und auch Igel zum Problem geworden. Auf Norderney z. B. sind statt früher 100 derzeit nur noch 30 Brutpaare des Säbelschnäblers anzutreffen. Seit einigen Jahren werden die Prädatoren jedoch gezielt kontrolliert und in 2012 war – auch bei anderen Vogelarten – ein deutlicher Anstieg des Bruterfolgs zu verzeichnen. Eine weitere effektive Schutzmaßnahme auf Norderney ist die zeitweise Sperrung eines Weges auf dem Ostheller, den sich die Vögel als Brutplatz erkoren haben. Für Wanderer gibt es während der Brutzeit alternative Routen.
Dass ein langfristiger konsequenter Gebietsschutz unabdingbar zum Erhalt bedrohter Arten ist, belegt die erfreuliche Entwicklung des Kegelrobbenbestandes im Wattenmeer. Über Jahrhunderte galten Kegelrobben bei uns als ausgestorben. Nicht von ungefähr hat sich seit gut zehn Jahren auf der Kachelotplate, die völlig frei von menschlichen Einflüssen ist, die größte Kolonie dieser beeindruckenden Raubtiere im niedersächsischen Wattenmeer etabliert. Seitdem werden dort regelmäßig Jungtiere beobachtet, und der Bestandstrend geht fortlaufend nach oben. Am Ende der letzten Zählsaison, im April 2012, wurden im niedersächsisch-hamburgischen Wattenmeer insgesamt 348 Tiere registriert. Neben der steigenden Geburtenrate ist auch eine Zuwanderung ins Schutzgebiet zu verzeichnen.
Die Kolonie auf der Kachelotplate macht mehr als die Hälfte des niedersächsischen Kegelrobbenbestandes aus, zudem werden auf Borkum, Norderney und Langeoog Tiere festgestellt. Wichtigste Schutzmaßnahme ist, den Welpen eine ungestörte Säugezeit auf hochwasserfreien Liegeplätzen zu gewährleisten. Das kann auch mal ein touristisch genutzter Strand sein. Dann gilt es, Spaziergänger aus dem Umfeld fernzuhalten, ob durch zeitweise Absperrung und Hinweisschilder oder, besser noch, persönliche Betreuer, die auch den Wissensdurst neugieriger Beobachter stillen. Durch respektvollen Abstand können Einheimische und Gäste hier unmittelbar zum Artenschutz beitragen.
„Diese Entwicklungen im Schutz besonders gefährdeter Arten sind für die Nationalparkverwaltung besonders erfreulich. Das heißt nicht, dass wir uns bereits zurücklehnen können“, macht Nationalpark-Leiter Peter Südbeck deutlich. „Natur- und Artenschutz bleibt dauerhaft unsere Kernaufgabe. Die aktuelle Bilanz bestätigt aber, dass wir auf dem richtigen Weg sind und die Erfolge sind eine große Motivation für uns und alle haupt- und ehrenamtlichen Unterstützer, auch im kommenden Jahr engagiert daran weiterzuarbeiten.“